Jan Dreher ist Chefarzt einer psychiatrischen Fachklinik und Familienvater. Auch sein Hobby ist zeitintensiv. Über einen Psychiater, der leidenschaftlich für die Öffentlichkeit schreibt und redet
Tagsüber betreut er als Chefarzt einer psychiatrischen Klinik seine bis zu 150 Patienten, erledigt Papierkram oder plant Vorträge und Workshops. Manchmal stellt er Gutachten aus oder kümmert sich um die Ausbildung des Nachwuchses. Nach Feierabend schreibt er Blogbeiträge über seine Erlebnisse oder nimmt Podcasts auf. Jan Dreher startete seine publizistische Zweitkarriere vor sechs Jahren mit seinem Blog Psychiatrie to go. Das Ziel: Wissen weitergeben. Ohne Lehrbücher, Weiterbildungen oder ellenlange Vorlesungen. Er will “Entscheidendes einfach sagen” und verpackt dafür die Informationen in kleine Geschichten. Die Sprache bleibt dabei auf einem verständlichen Level, ist nicht abgehoben. “Das macht die Psychiatrie menschlich”, sagt er: “Der gute Klang motiviert.”
Seine Erzählweise überzeugt nicht nur Ärzte: Zu seinen Lesern gehören auch Patienten. Oder Richter. Um die 100.000 Klicks generieren sie auf seinem Blog. Pro Monat. Dabei schreibt er den Blog nur nebenbei als Hobby. Die Klinik, seine Frau und die beiden Söhne haben Priorität: “Die Zeit ist knapp und ich bin zufrieden, wie es ist. Das Blogthema ist nischiger, das macht es zum harten Brot. Außerdem habe ich ja nur etwas zu berichten, weil ich jeden Tag als Psychiater arbeite.”
So präsentiert sich Jan Dreher auf seiner Homepage. | Foto: privat
Recycling
Seine Blogposts verschwinden keinesfalls im Archiv. Seit 2014 findet eine Auswahl Platz in seinem Buch “Psychopharmakotherapie griffbereit”, das im November 2018 bereits in der vierten Auflage erschien. Der Trick? Auf dem Blog testet er seine Buchbeiträge vor dem Druck. Rückmeldungen und Feedback auf die Blogbeiträge fließen später mit in das Buch ein, genauso wie Antworten auf Fragen, die auf dem Blog entstehen. Einige Stellen im Buch sind komplex, gehen in die Tiefe. Doch der Großteil ist leicht verständlich und bietet Orientierung. Das Konzept findet allgemeinen Zuspruch, wieder lesen nicht nur Arztkollegen mit, sondern auch Sozialarbeiter und Betroffene. Jan Dreher findet, dass das Thema der Medikamentenlehre oft “zu verschroben und kompliziert” dargestellt wird. Gerade deswegen ist ihm “der Communitygedanke – trotz schwierigem Thema – sehr wichtig”.
Toll, du Profiblogger
Dass er nun auch noch podcastet, kam eher durch Zufall. Vor drei Jahren fragte ihn sein Kollege Alexander Kugelstadt an. Da musste Herr Dreher nicht lang überlegen: Er sagt, er sei schon immer technikaffin gewesen und hätte einfach Lust darauf gehabt. Das Reden gehe ohnehin leicht von der Hand. Während andere viel Zeit und Geld in Marketing stecken, machen die beiden einfach das, was ihnen gefällt. Eine bestimmte Zielgruppe gibt es dabei nicht: “Wir reden über das, was uns interessiert. Und wer das mag, hört zu. Jeder nimmt sich das raus, was ihn begeistert.” Alle zwei bis drei Wochen kommt eine neue Episode des Psychcast heraus. Jedes Mal mit bis zu 10.000 Hörern.
Das alles geht auch nicht an seinen Kollegen vorbei. Jan Dreher erzählt, die Reaktionen kämen in zwei Phasen: “Zuerst sagen sie: ‘Das ist toll, was du da machst, du Profiblogger. Richtig hipp!’ Und irgendwann kommen dann Sachen wie: ‘Du vertrittst da aber ganz schön persönliche Ansichten.’” Und nicht jeder sei gewohnt, diese öffentlich kundzutun. Herr Dreher erklärt sich das damit, dass Psychiatrie immer noch ein dunkles Thema mit Berührungsängsten sei. Und außerdem: “Psychiater sind keine Rampensäue.” Dann zählt er die auf, die dennoch in die Öffentlichkeit treten: Leute, die über die Humorschiene gehen, wie Dr. Eckhardt von Hirschhausen, diejenigen mit schrägen Ansichten, die klassischen Uniprofessoren und die, die im Radio ihre Weisheiten verbreiten. Nicht zuletzt wegen dieser Personen müsse man laut ihm Normalität reinbringen, die Branche “entängstigen und entmystifizieren. Sagen: ‘Macht euch ein eigenes Bild.’”.
Image im Wandel?
Ein bisschen sei auf dem Weg zur Normalisierung schon passiert: “Vor 20 Jahren war das ganze psychiatrische Feld ein einziges Tabuthema. Dann wurden irgendwann Krankheiten wie Depressionen, Burnout und ADHS hipp und nicht mehr stigmatisiert.” Nur die Arbeitgeber “fanden’s immer noch nicht geil.” Wer jetzt denkt, die Aufklärung sei in den Köpfen der Leute angekommen, den muss Herr Dreher enttäuschen: Seitdem sei nämlich keine Änderung mehr eingetreten. Eine Psychose zum Beispiel bleibe wohl auf ewig ein Tabuthema. Das findet er aber nicht verwerflich: “Ich muss nicht jedem auf Instagram sagen, dass ich Depressionen habe. Es ist immer noch eine Krankheit. Ich teile da ja auch nicht meine Geschlechtskrankheiten.”
Dennoch findet er es wichtig, unverkrampft über die Krankheiten sprechen zu können. Dies schaffe Transparenz und vor allem Differenzierung. Seine ernüchternde Prognose allerdings: “So weit sind wir wahrscheinlich erst in den nächsten 15 bis 20 Jahren.” Das liege nicht zuletzt am enormen Imageproblem der Krankheiten, wenn beispielsweise Sprüche fallen wie ‘Einmal depressiv, immer depressiv.’ Dabei weiß Jan Dreher, dass nach einer depressiven Episode jahrelang Ruhe sein könne oder überhaupt keine mehr kommen müsse. Auch Alkoholabhängigkeit habe ein sehr schlechtes Image, sei aber gut behandelbar. Psychosen würden aus seiner Sicht hingegen zu sehr verharmlost: “Eine Psychose ist eine schwere Erkrankung.”
Gerade wegen solcher Falschwahrnehmungen sei es so wichtig, das Thema nicht totzuschweigen: “Wenn wir alle mehr erzählen, lichtet sich das Dunkel.” Er und seine Kollegen können Hilfe anbieten und damit reichlich bewirken. Viele Krankheiten lassen sich gut behandeln. Aber: “Wir Psychiater können auch nur Krankheiten behandeln, nicht Leben beeinflussen.”